Der Style kommt nicht mit der Post!
Auf dem kurvigen Highway ins Erwachsenenalter hat damals wohl jeder pubertierende Kerl in verschiedene Subkulturen reingeschnüffelt, um seinen eigenen Style zu finden. Popper, Punker oder Rocker, was durfte es denn sein? Um wirklich reinzukommen in die Szene, galt der jeweilige Dresscode als Eintrittskarte. Hatte man endlich die angesagten Klamotten auf Flohmärkten und Veranstaltungen abgegriffen oder durch hart erarbeiteten Respekt dem großen Bruder abgequatscht, konnte es losgehen. Einmal drin, musste man sich durch Know-how und artgerechtes Benehmen die Anerkennung der Szene verdienen. Wer drin war, blieb auch drin.
Und heute? Im Internet diktieren Mode-Blogger und Style-Influencer jedem noch so orientierungslosen Follower, was er für sein Wunsch-Image braucht. Der Quereinstieg in eine Subkultur ist jetzt in Echtzeit möglich. Wie wärs mit der US-Car-Szene? Fette Karren, Rock ’n’ Roll und tätowierte Chicks. Die Transformation vom Ottonormalbenzinverbraucher zum V8-Rocker dauert nur einen Mausklick, schon liefert Schnäppchengigant Amazon das volle Programm frei Haus: Flammenhemd, Hot Rod-Aufnäher, nicht lizenzierte Shelby-Jacke, Mopar-Basecap und Totenkopfring. Mit umgekrempelter Vintage-Jeans dann noch schnell beim Tätowierer die Unterarme mit Flames, Hot Rods und Pin-ups zuhacken lassen, fertig ist der Authentic-V8-Style. Anschließend lungert der frisch frisierte Ami-Freak (eine Wortschöpfung aus den 1980ern) auf sämtlichen US-Car-Meetings herum, um die Atmosphäre abzuschnorren, denn für das Wichtigste in seinem neuen kulturellen Umfeld hat es bisher noch nicht gereicht: einen eigenen Schlitten unterm Arsch. Und der ist existenziell, soll das Outfit nicht als Faschingsverkleidung fürs Wochenende interpretiert werden. Zurück im Internet verstummen auf einmal die Influencer und Style-Guides, wenn es um den Kauf eines US-Cars geht, denn hier zählen echte Erfahrungswerte. Es hilft nix, trotz gefährlichem Halbwissen muss sich der V8-Styler dann ins US-Car-Forum wagen, um die nötigen Tipps abzugreifen. Man will sich schließlich keinen Schrott andrehen lassen. Nicht auszudenken, mit uncooler Warnreste am Standstreifen und ratlosem Blick an der offenen Airgrabber-Haube erwischt zu werden. Rollt er endlich mit eigener Karre aufs Meeting, ist ihm der Respekt sicher, denn die optische Assimilation mit dem V8 hat ja schon vorher stattgefunden. Willkommen in der Szene.
Text: Helge Thomsen
Foto: Dirk Behlau