Kaltstartphase
Für jeden postpubertären Führerscheinneuling gibt es Ende der 1980er Jahre nur ein Ziel: Ein eigener Schlitten, aber schnell. Eine Abenteuerreise zurück in die automobilen Lehrjahre einer analogen Zeit. Persönlich und halb erinnert von Helge Thomsen.
Rekordfahrt
Manche Autos laufen einem einfach zu. Wie ein streunender Hund, der ein neues Herrchen sucht, das sich endlich mal kümmert. Dieser räudige Opel ist so ein verwahrlostes Ding. Wir wollen uns aber nicht kümmern, wollen nur abfahren. Kein Problem, schreit uns der Besitzer an, denn es ist brutal laut in unserer Dorfdisko „Kutsche“, die verqualmte Umgebungsluft mit Alkohol gesättigt. Als der DJ wie jeden Freitag Extrabreits „Flieger, grüß mir die Sonne“ auflegt, legt der Typ sein Verkaufsgrinsen auf. Er lallt irgendwas von „läuft super“ und „Tüv“. Seinen Namen habe ich sofort vergessen, aber als ich am nächsten Mittag verkatert aufwache, fällt mir der Wagen wieder ein. Der gehört nämlich jetzt uns. Für hart verhandelte 100 D-Mark hat er gestern am Cola-Korn-getränkten Tresen den Zündschlüssel und die Papiere rausgerückt, erinnert mich Kumpel A.
Wir beide sind jetzt also stolze Besitzer eines völlig heruntergerockten Opel Rekord D. Als wir ihn beim Verkäufer (sein Name ist mir immer noch nicht eingefallen) aus der verstaubten Scheune rollen, hält sich die Freude über diesen Blindkauf in Grenzen. Die 1974er Limousine im verbeulten Erstlack springt nicht an, steht mit verzogenem Fahrwerk in der Sonne, hat aber noch satte sechs Wochen Tüv und ist angemeldet. Wir wollten eigentlich direkt auf unsere hauseigene Teststrecke, die stillgelegte Kiesgrube am Ortsausgang, müssen die Fuhre aber erst einmal startklar machen. Die Garagenauffahrt der Eltern von Kumpel A. wird wie gewohnt als Werkstatt missbraucht. Vater W. regt sich wie immer über den Schrott auf, den wir anschleppen. Die Ölflecken der letzten automobilen Errungenschaft hatten wir gerade mühsam entfernt, jetzt kleckert der inkontinente Rüsselsheimer die Waschbetonplatten wieder voll. Wir krönen diese umweltfreundliche Aktion mit dem Ausbau des Benzintanks. Eine braune Suppe ergießt sich über die Auffahrt, erklärt aber auch, warum der ausgenudelte 1900er OHC nicht starten will. Wir reinigen Vergaser und Tank, bauen alles wieder zusammen und jubeln, als der Vierzylinder mit einer amtlichen Fehlzündung auf Drehzahl kommt.
Das bereits Ende der 1980er Jahre biedere Image eines viertürigen Opel Rekord in Sierrabeige bereitet uns allerdings den ganzen Tag Kopfschmerzen. Der Einfluss der damals aktuellen Mad Max Filme ist stark in uns, mattschwarz gilt als die einzige Alternative zu Originallack und Spießigkeit. Wir sind dann doch zu faul, das Fahrzeug für eine Spontanlackierung zu säubern und ziehen rote Farbspraydosen aus Papas Regal in der Einzelgarage. 10 Minuten später ist aus dem Rest-Tüv-Rekord ein Statement gegen die Kleinbürgerlichkeit geworden. Der Vater flippt aus, als er das Ergebnis unserer Kreativität sieht: Suicide, Mad Max, Toecutter, Fuck for Tüv und eine mit 570 PS etwas optimistische Typenbezeichnung stellen ihn bei den Nachbarn bloss und er jagt uns wütend vom Grundstück.
Wir aber sind zufrieden mit unserer Schnell-Restaurierung und fahren mit quietschenden Reifen und wimmernder Hinterachse raus aus der 30-Zone, rein ins Abenteuer. Was alle bisher von uns erworbene Fahrzeuge hier in der Kiesgrube durchleben mussten, bleibt auch dem Rekord nicht erspart: Drifts um rostige Baukräne, Weitsprünge mit Höchstdrehzahl und schnelle Schlammdurchfahrten trainieren Mensch und Maschine und legten so ganz nebenbei den Grundstein für eine bis heute zweifelhafte Karriere im Rennsportbereich. Gerade als das Blaupunkt Kassettenradio mit Motörheads neuer Single „Deaf forever“ die scheppernden Kipphebel übertönt, verreißt A. das Dreispeichenlenkrad und verformt den Vorderwagen kalt an einem geparkten Caterpillar-Bagger. Hier ist die kurze Rekordfahrt spontan zu Ende. Wir schrauben schnell die Kennzeichen ab und rufen aus der nächsten Telefonzelle den alten Baumann an. Der Schrotthändler kennt derartige Anrufe bereits von uns und holt das Unfallfahrzeug sofort mit seinem Hanomag-Abschlepper ab. Blöde Kommentare kann er sich natürlich nicht verkneifen, als er den Rekord neben diversen Schrottkisten aus unserer Stockcar-Schmiede zu Grabe trägt. Uns egal, nächsten Freitag ist wieder „Kutsche“.
Text/Fotos: Helge Thomsen