Helges Benzinkolumne – Das Dreiecksfenster
Als die Automobildesigner in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts anfingen, designtechnisch durchzudrehen und Frontscheiben schräg zu stellen, kamen die Konstrukteure ins schwitzen. Wie baut man jetzt einteilige Seitenfenster, die sich komplett versenken lassen? Die Lösung kam in Form eines Dreiecks.
Zwischen A-Säule und Seitenscheibe füllte ab sofort ein Zusatzfenster die Konstruktionslücke. Damit das in die Ecke gestellte kleine Glas nicht nutzlos an der Karosserie herumoxidiert, experimentierte man mit verschiedenen Öffnungssystemen und schuf mal eben die genialste und einfachste Erfindung der Fahrzeugbelüftung. Das Dreiecksfenster. Die liessen sich mit den verschiedensten Methoden waagerecht öffnen. Während die Amis mit verwinkelten Hebeln die menschliche Anatomie in Frage stellten und für Krämpfe im Öffnungsfinger sorgten, verspielten sich die europäischen Konstrukteure in filigranen Chromdetails und so tollen Mechanismen wie Minikurbeln mit Seilzugumlenkung (Opel Admiral), Drehrädern mit Ritzelverzahnung (Alfa Berlina) und Schiebern mit Klickverriegelung (Ford P7). Doch unabhängig von diesen technischen Notlösungen waren die Dreiecksfenster vor allem eins: saupraktisch.
Nach dem Kneipenbesuch den Autoschlüssel verdaddelt? Kein Problem, an den Türöffner kommt man auch ohne größeren Schaden heran.
Einfach das Dreiecksfenster einschlagen. Mal eine Sportzigarette rauchen, ohne den Aschenbecher mit verbotenen Restsubstanzen zu füllen? Easy durchs Dreiecksfenster aschen und entsorgen. Die empfindliche Schwiegermutter beschwert sich über Zugluft bei geöffneten Seitenfenstern? Schnell das kleine Fenster öffnen und die Alte gibt Ruhe. Keine Klimaanlage und die tropische Aussentemperatur verwandelt die Karre in einen Brutkasten? Dreiecksfenster über 90 Grad öffnen und kühle Frischluft direkt ansaugen. Die nervigen Mitfahrer beschweren sich über schlechte Luft durch Restalkohol und die Bohnensuppe vom Vorabend? Dreiecksfenster öffnen genügt.
Das ist vorbei. Das Dreiecksfenster ist tot. Ausgerottet durch Karosseriedesigner mit Plastik-Fetisch und Playmobiltrieb, die mit futuristischen Linienführungen, gewichtssparenden Karosseriemodifikationen und elektrischen Fensterhebern das schöne Ding nutzlos machten. Dazu noch ausgeklügelte Frischluftdüsen für chemisch gereinigte Klimaluft. Super. Die Folgeschäden sind enorm: Positive Drogenkontrollen, zerstrittene Freundschaften, Allergien und Asthma durch die Retortenluft. Auch die anatomischen Kollateralschäden wie Muskelschwund sind nicht zu unterschätzen. Also, boykottiert Fahrzeuge mit einteiligen Seitenscheiben und Klimaanlage. Kauft Autos mit dem guten alten Zusatzfenster.
Das Dreiecksfenster ist tot. Es lebe das Dreiecksfenster.
Euer Helge